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Konkreter Fall sorgt für Zündstoff. Es geht um mehr als eine Frage der Mode. Selbst das Schulamt spricht von einer Gratwanderung.

Von Alfred Raths

"Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren", konstatierte einst der unlängst verstorbene Mode-Schöpfer Karl Lagerfeld. Jenes bequeme, aber in gewissen Lebenslagen nicht unumstrittene Kleidungsstück sorgt an der Wolnzacher Mittelschule für Zündstoff. Entgegen des Fingerzeigs der Schulleitung hält dort ein 14-Jähriger die Trainingshose für durchaus schultauglich. Seine Erziehungsberechtigte gibt ihm volle Rückendeckung. Sie verurteilt das angebliche Jogginghosen-Verbot als Diskriminierung. Von einem Verbot will die Rektorin indes nicht reden. Sie spricht von einer Empfehlung: "Ordentlich gekleidet zur Schule zu kommen, zeigt nicht nur den Respekt vor sich selbst, sondern hat auch eine Außenwirkung."

Die Ansicht des 14-Jährigen, der auch einer von drei Schülersprechern ist, unterstützt dessen Erziehungsberechtigte, Iris Gabi, ebenso ausdrücklich wie offensiv. Sie hat bereits gestern über das soziale Netzwerk "Facebook" ihrem Unmut Luft gemacht (siehe Screenshot unten). "Mittelalter Wolnzach", wettert sie unter anderem, "ja geht's noch!" Die Jogginghose sei im Jahre 2019 längst salonfähig, findet sie, doch "das scheint nach Wolnzach noch nicht durchgedrungen zu sein!"

Gegenüber unserer Zeitung erklärte Iris Gabi heute: "Ich finde das Verhalten der Rektorin einfach unglaublich, weil das Diskriminierung ist." Sie spricht von Streetware oder Fashion. "Man darf niemanden ausgrenzen, weil er Jogginghose trägt." Die Frage sei, ob ein Sparkassen-Azubi im Anzug mehr Wert habe als ein Hartz-IV-Empfänger oder Obdachloser. "Wer mit Jogginghose kommt, hieß es in der Schule, darf nicht mit ins Kino", behauptet Iris Gabi und empört sich: "Das ist Diskriminierung, das ist unglaublich!" Wo fange Ausgrenzung an?

"Laufen wie Hippies rum"

"Werte heißt für mich: Jeder Mensch ist mit Respekt und Wertschätzung zu behandeln – ob er in Jogginghose vor mir steht oder im Anzug", sagt sie. Und überhaupt: "Wie sind denn die Lehrer angezogen? Die sollen sich erst mal einig werden, was angemessene Kleidung für sie ist. Genug laufen wie die Hippies rum, andere mit Feinstrumpf. Wir leben doch im Jahr 2019." Ihr ironischer Vorschlag: "Sollen sie doch eine Lederhosen-Pflicht machen in Wolnzach." Man könne doch niemanden an der Kleidung messen. "Es gibt auch genug ausländische Mitbürger, die nicht so viel Geld haben." Sei eine Jeans für neun Euro, die mit Kinderhand hergestellt werde, besser als eine Designer-Jogginghose für 150 Euro?

 

In einer offiziellen Stellungnahme der Schule, die uns heute auf Anfrage erreicht hat, heißt es, dass die Initiative, auf Jogginghosen in der Schule doch tunlichst zu verzichten, von Schülern ausgegangen sei. Das Thema sei bei einer interaktiven Besprechung am 7. Januar im Forum – einer Versammlung mit allen Schülern zum Thema "Wie gehen wir miteinander um?" – zur Sprache gekommen. "Einige Schüler wollen nicht, dass die Mitschüler mit Jogginghosen in die Schule kommen."

"Bitte ordentlich gekleidet"

Rektorin Gabriele Habicht ergänzt gegenüber unserer Zeitung, dass es in dieser Woche ein Gespräch mit den Schülern in allen Klassen gegeben habe, "bei dem ich darum bat, am Schul-Kinotag ordentlich gekleidet zu kommen". Der betreffende Schüler habe danach gegenüber einer Lehrerin bekundet, dass er nun erst recht nicht so erscheinen wolle. "Daraufhin habe ich ihn bei einem Einzelgespräch darauf hingewiesen, doch bitte ordentlich gekleidet zu kommen", so Habicht, "weil es ja auch um die Außenwirkung geht und es letztendlich auch zu seinem Vorteil ist." Er müsse ja schließlich auch bald in die Arbeit gehen.

 

"Mir geht es um das positive Selbstwertgefühl der Schüler", erläutert Habicht. "Ordentlich gekleidet zur Schule zu kommen, zeigt nicht nur den Respekt vor sich selbst, sondern hat auch eine Außenwirkung." Es gelte heute noch: Kleider machen Leute. "Ich möchte, dass die Mittelschüler in ihrem Selbstbewusstsein gestärkt und eben nicht abgestempelt werden", sagt die Rektorin. Außerdem sei gerade bei Unterrichtsgängen das Außenbild sehr wichtig.

"Erzieherische Maßnahme"

"Unser erzieherisches Wirken zielt vor allem auf die Chancengleichheit ab. Angemessene, ordentliche Kleidung wirkt sich immer positiv aus", so Habicht. Schulkleidung gebe es nicht, stellt sie klar, "aber wir bereiten auf das Berufsleben vor und in den meisten Berufs-Sparten gibt es Arbeitskleidung". Es gebe an ihrer Schule überhaupt kein Verbot, betont die Rektorin, "sondern eine Empfehlung – es ist eine reine erzieherische Maßnahme". Die Schule sei kein privater Raum. "Es geht um das gute Vertrauensverhältnis zwischen den Schülern und Lehrern."

Erich Golda, stellvertretender Pfaffenhofener Schulamts-Direktor, macht im Gespräch mit unserer Redaktion ebenfalls deutlich: "Es gibt auch einen erzieherischen Auftrag. Dieser geht gerade an einer Mittelschule in Richtung Berufsorientierung, Außenwirkung und ein Stück weit auch in Richtung Selbstwertgefühl der Jugendlichen." Dazu gehört seinen Worten zufolge, "dass man drauf achtet, wie sich der Jugendliche in der Öffentlichkeit darstellt".

"Gratwanderung"

Grundsätzlich müsse die Schule das Persönlichkeitsrecht der Schüler auf ihre Kleidungswahl anerkennen, "aber es gibt eben auch diesen erzieherischen Aspekt", so Golda weiter. "Insofern handelt es sich hierbei um eine gewisse Gratwanderung", räumt er ein, unterstreicht jedoch zugleich: "Wir stehen hier als Schulamt voll hinter der Ansicht der Rektorin."

 

Auf Anfrage unserer Redaktion heißt es aus dem Kultusministerium: "Das bayerische Schulrecht enthält keine Vorschriften darüber, wie Schülerinnen und Schüler im Allgemeinen gekleidet sein sollten." Nach dem bayerischen Erziehungs- und Unterrichtsgesetz seien Schüler allerdings dazu verpflichtet, sich so zu verhalten, dass der Schulbetrieb oder die Ordnung der von ihnen besuchten Schule nicht gestört werde. Man setzt dabei auf den Dialog an den Schulen.

Potenzielle Störung des Schulbetriebs?

Die Schulleitungen vor Ort können demnach gemeinsam mit der Schulgemeinschaft – bestehend aus Lehrern, Eltern und Schülern – eine Entscheidung darüber treffen, ob und wenn ja welche Regelungen zur Kleiderwahl es geben könne, "soweit die Persönlichkeitsrechte der Schülerinnen und Schüler damit nicht verletzt werden".

Es liege darüber hinaus im pädagogischen Ermessen von Lehrkräften, "ob sie in einem Kleidungsstück eine potenzielle Störung des Schulbetriebs sehen und daher den Dialog mit einem Schüler oder einer Schülerin suchen". Derartige Fragen würden "vielfach auch im Unterricht thematisiert, um die Jugendlichen für das Thema zu sensibilisieren".


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