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Interview mit dem Ingolstädter Finanzbürgermeister Albert Wittmann (CSU) über Herausforderungen nach der Krise bei VW und den fehlenden Gewerbesteuer-Einnahmen 

(ty) Er wacht über die Finanzen der Stadt, ist der Mann, der die Hand auf dem Geld hat. Albert Wittmann (CSU), Zweiter Bürgermeister von Ingolstadt und Kämmerer der Kommune. Und er hatte schon einmal mehr Geld zu verwalten. Aber seit dem Diesel-Skandal von VW fließen die Gewerbesteuereinnahmen deutlich spärlicher – die Stadt steckt in einer Krise, für die sie nichts kann. Einer massiven finanziellen Krise. Dabei wollte sie doch schulenfrei werden und hatte im vergangenen Kommunalwahlkampf massiv damit geworben. Was ist von diesen Zielen übrig geblieben? Wir sprachen mit Albert Wittmann, der unversehens und quasi über Nacht vom Dagobert Duck zum Krisenmanager geworden ist. 

Herr Wittmann, es gab im letzten Wahlkampf dieses schöne Bild eines Babys. Und darunter stand: „Wenn ich in die Schule komme, ist Ingolstadt schuldenfrei“. Würden Sie dieses Bild heute noch einmal verwenden?
Albert Wittmann: Das trifft zu. Wir sind Ende des Jahres so gut wie schuldenfrei. Wir haben noch ein paar Millionen Schulden, für die wir aber das Geld bereits zur Seite gelegt haben. Warum tilgen wir sie nicht gleich? Weil die Banken derzeit natürlich eine hohe Vorfälligkeitsentschädigung verlangen, weil sie kaum noch Zinsen bekommen. Aber die Kredite werden bis 2018 völlig auslaufen. So dass es durchaus zutrifft mit dem Bild. Und nachdem ich davon ausgehe, dass wir trotz der sehr schwierigen Lage, mit der wir damals nicht gerechnet haben, 2017 und 2018 keine Kredite aufnehmen, gilt das bis 2018.

Was wäre der beste und was der schlechteste Fall in Sachen Volkswagen und Gewerbesteuer?
Wittmann: Der beste Fall wären zumindest geringe Gewerbesteuer-Einnahmen von VW, der schlechteste Fall wären Gewerbesteuer-Einnahmen nahe Null. 

Wann wird denn die Gewerbesteuer aus Wolfsburg wieder fließen in nennenswertem Umfang?
Wittmann: Wenn man die Krise vor zwölf Jahren vergleicht mit der jetzigen, dann haben wir zwei wesentliche Unterschiede. Wir hatten zum einen damals keine Rücklagen. Wir können jetzt auf gut 300 Millionen Rücklagen zurückgreifen. Das bedeutet, wir können für die nächsten Jahre die hohen Investitionen gegenfinanzieren. Das zweite ist, dass die Struktur heute eine ganz andere ist. VW hatte damals zwar einen wirtschaftlichen Einbruch. Aber das war eine ganz normale Delle. Und heute haben wir eine Situation, bei der niemand mit ruhigem Gewissen sagen kann, das ist in vier, sechs oder acht Jahren alles vorbei. Wenn jemand diese Aussage trifft, dann ist er sehr mutig. Ich traue sie mir nicht zu. Weil ich neben den Strafzahlungen für VW auch die hohen Investitionen im deutlich zweistelligen Milliardenbereich bei Volkswagen sehe. Insbesondere für E-Mobilität. Denn wir können nicht mehr behaupten, dass wir mit den Asiaten hier auf Augenhöhe sind. Die sind uns einfach voraus. Da muss man einfach investieren. Und das bedeutet, wenn hohe Investitionen notwendig sind, dann wird es mit dem Gewerbe-Ertrag nicht so rosig aussehen. Das heißt: Auch über die Krise hinaus werden wir wohl wenig Gewerbesteuer bekommen wegen dieser Investitionen. Das wird weit in die nächste Wahlperiode hineinreichen.

Welche Investitionen fallen den leeren Kassen zum Opfer?
Wittmann: Im Prinzip werden alle Investitionen, die wir vor der Krise schon in der Mittelfrist-Planung hatten, auch so ungesetzt. Es wird nirgendwo etwas komplett hinausgeschoben. Und es wird schon gleich gar nichts gestrichen. Bis 2020 laufen alle Investitionen planmäßig. Jetzt kann man natürlich die Frage stellen: Wir finanziert ihr das? Das kann man auch erklären. Wir werden möglicherweise ab 2018 in die Kreditaufnahme gehen müssen. Ich habe aber die Vorgabe gemacht, dass wir deutlich unter der 100-Millionen-Grenze bleiben. Und ich denke, dass wir diese Grenze einhalten werden. Und wenn wir das schaffen, dann sind wir im Vergleich zu anderen bayerischen Großstädten immer noch im ersten Drittel. 

Das bedeutet, Ingolstadt wird schuldenfrei, um gleich danach neue Schulden aufzunehmen?
Wittmann: Das lässt sich bei dieser Krise einfach nicht vermeiden. Die wird länger dauern als eine normale Konjunkturdelle.

Warum nimmt die Stadt dann nicht gleich jetzt neue Schulden auf, wo doch das Zinsniveau historisch tief ist?
Wittmann: Das ist eine ganz interessante Frage. Ich kann einen Kommunalkredit, wenn ich sorgsam und ehrlich wirtschafte, nicht länger aufnehmen als für 20 Jahre. Das bedeutet fünf Prozent Tilgung. Ich habe bei zehn Millionen Euro Schulden eine Belastung von 600 000 Euro pro Jahr. Und wenn ich das hochrechne auf 100 Millionen, dann wären das sechs Millionen, die ich nur ausgeben muss für Zins und Tilgung. Nicht der Zinssatz ist alleine entscheidend, sondern auch die Tilgung.

Wo bekommt der Bürger die leeren Kassen und die VW-Krise zu spüren? Bei den Gebührenerhöhen zum Beispiel? Es gab ja doch ziemlichen Aufruhr um die Erhöhung der Kita-Gebühren.
Wittmann: Jetzt muss ich sagen, dass das eine mit dem anderen, auch wenn es immer vermengt wird, nichts zu tun hat. Wir hätten die Kindergartengebühren ohnehin erhöhen müssen. Wir haben den Fehler gemacht, dass wir in der Zeit hoher Einnahmen, die wir auch den Familien zugute kommen lassen wollten, über zehn Jahre die Gebühren nicht erhöht haben. Das hat dazu geführt, dass wir im Vergleich zu anderen Städten weit hinten liegen. In München zahlt man das Fünffache, obwohl München eine Stadt ist, die sehr sozial regiert wurde in den letzten Jahrzehnten. Das hat mit dem Diesel-Skandal von VW nichts zu tun. Wir haben uns auch über alle Fraktionen hinweg darauf geeinigt, dass wir künftig alle Gebühren, wenn es notwendig ist, Jahr für Jahr oder im Zweijahres-Rhythmus erhöhen. Das war jetzt der Fluch der guten Tat. Da haben wir sicherlich einen Fehler gemacht, dass wir die Gebühren nicht angepasst haben. Ansonsten, wo spürt es der Bürger konkret? Ich glaube nicht, dass die Bürger etwas spüren. Es ist ja nicht so, dass unsere Gebäude, unsere Schulen runterkommen oder Straßen nicht mehr saniert werden. Wir werden auch, und das ist sehr wichtig, keine Steuererhöhungen bis 2020 machen. Das liegt meiner Planung zugrunde. Aber es muss natürlich im Haushalt und der Verwaltung etwas gespart werden. Wir haben ja gesagt: Für 2016 gilt 15 Prozent Haushaltssperre. Das ist aber nicht so schlimm, wie es sich vielleicht anhört, weil der Haushalt 2016 ja ein sehr fetter Haushalt war. Und die 15 Prozent sind überall problemlos zu bringen. Bei den Personalkosten ist es so, dass wir die Kosten für Mai 2017 genommen haben uns gesagt haben, jedes Jahr kommen vier Prozent drauf. Es wird nicht notwendig sein, dass wir irgendwo Beförderungssperren oder Wiederbesetzungssperren einzubauen oder gar Stellen streichen müssen. Es bedeutet aber auch, dass die fetten Jahre, in denen wir Steigerungen bei den Sach- und Verwaltungskosten von sechs bis acht Prozent hatten, vorerst vorbei sind.  Aber ich denke, damit kann man ganz gut leben. 

Also definitiv keine Erhöhung von Grund- oder Gewerbesteuer?
Wittmann: Keine Steuererhöhungen. Da müsste schon was ganz Grobes passieren. Man weiß nicht, was in zwei Jahren ist. Aber meine Planung ist: Keine Steuererhöhungen. Und die würden ja die Bürger am Härtesten treffen. Denn bei Steuererhöhungen reden wir von einer anderen Hausnummer als bei Gebühren-Erhöhungen. 

Besteht die Gefahr, dass die Stadt an VW Steuern zurückzahlen muss?
Wittmann: Die Gefahr besteht im Prinzip nicht. Es gibt keine Verlustrückträge. Das haben wir geprüft. Das heißt aber nicht, dass die Gefahr endgültig vom Tisch ist. Wir hatten 2004 eine Rückzahlung von einem deutlich zweistelligen Millionenbetrag. Das erwarten wir aber jetzt nicht. 

Es gibt Fachleute aus der Automobilbranche, die für dieses Jahrzehnt noch eine globale Autokrise vorhersagen. Also nicht die jetzige, hausgemachte VW-Krise. Was würde, käme diese Krise wirklich, für Ingolstadt bedeuten?
Wittmann: Nachdem wir ja für die nächsten Jahre bis 2020 die Gewerbesteuer-Erwartungen ganz zurückgefahren haben und ich davon ausgehe, dass diese Herausforderung auch über 2020 hinaus besteht, würden wir nicht überrascht sein davon. Überrascht würden vermutlich die Standorte, die jetzt keine Krise haben. Standorte von BMW oder Mercedes würden von so einer Entwicklung wohl härter getroffen werden als Ingolstadt. Wir haben unser Fett schon weg. Das lässt mich also ruhig schlafen.

Alt-OB Peter Schnell hat vor über 30 Jahren einmal gesagt, dass ihm die Monostruktur von Ingolstadt, also die einseitige Abhängigkeit von Audi, Sorgen bereite. Sie haben erst jüngst gesagt, sie seien ganz froh über diese Monostruktur. Ist das nicht eine gefährliche Einstellung?
Wittmann: Das ist natürlich ein gewisses Risiko. Wir haben dieses strukturelle Risiko. Das wissen wir. Aber alleine die Tatsache, dass Peter Schnell vor 30 Jahren eine Aussage getroffen hat, die zu keinerlei Umwälzungen geführt hat in der Struktur, zeigt schon, dass es gar nicht so einfach ist. Ganz so simpel ist es eben nicht, andere Bereiche anzusiedeln. Wir sind sehr stark abhängig von dieser Monostruktur Automobilindustrie. Aber die hat natürlich auch ihre Chancen. Und ich meine schon, dass der Audi-Standort Ingolstadt eine gute Zukunft hat. Zumal hier nicht nur produziert wird, sondern auch andere Bereiche wie Design und Entwicklung angesiedelt sind. Und die letzten Jahrzehnte haben wir mit dieser Monostruktur so schlecht nicht gelebt. 


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